Werden - Vergehen, Aufstieg und Niedergang - auch umgekehrt, das ist nun einmal
der Welt Lauf, ein unabwendbares Schicksal, voraus- gesetzt, wenn nicht große
Männer die Geschicke ihres Volkes zu meistern verstehen, dem nicht nur Staaten,
sondern auch Einzelwesen, Rassen, Gebäude und Orte unterworfen sind, so auch
die ehemalige Stadt Kirberg, der jetzige Flecken (12 Kilometer südlich von
Limburg) im Höhenlande an den Nordwestausläufern des Taunusgebirges zwischen dem
fruchtbaren Goldenen Grund und dem an Naturschönheiten reichen Aartale.
Dem stillen, weltabgeschiedenen Flecken Kirberg sieht man es wahrscheinlich
nicht an, wenn man ihn heute auf der einst sehr belebten Heer- und Poststraße
Mainz - Köln durchfährt, daß er eine Vergangenheit hinter sich hat, die an Glanz
sich ruhig messen kann mit den "Großen" unseres Nassauer Landes. Jedoch schon
bei näherer Betrachtung treten die noch vorhanden beredeten Zeugen aus den
Jahrhunderten des Glanzes leuchtend ins Blickfeld. Und wer dann ernsthaft
forschend die Chroniken Nassaus durchstöbert, der erkennt, daß oben nicht zuviel
behauptet ist.
Altes germanisches Siedlungsgebiet aus frühester Zeit soll hier betrachtet
werden. Vor einigen Jahren noch fand man auf dem Römberg zwischen Heringen und
Kirberg aus der Bronzezeit ein aus-
gedehntes Gräberfeld. Man geht kaum fehl, wenn man in dem aus der Ebene steil
aufragenden Felsen im unteren Teile Kirbergs eine altgermanische Opferstätte
erblickt.
Mehrere Jahre dauerte der Auf- und Ausbau der Burg und Stadt Kirberg. Hoch und
hehr, stolz und trutzig glänzte die Feste weit in die Lande bis zu den Taunus-
und Westerwaldhöhen. Ein Wahrzeichen deutschen Willens, deutscher Kraft der
Abwehr gegen räuberische Überfälle roher Soldateska. Daß sie manchen Ansturm
standgehalten hat, beweist das Vorhandensein von zwei stattlichen Türmen - jetzt
Ruinen -, drei Turmstümpfen, festen Mauern. Von dem noch jetzt vorhandenen
höchsten Turm aus genießt man einen köstlichen Fernrundblick auf eine weite,
wunderschöne Landschaft.
Hier oben wurde auch schon um das Jahr 800 zur Zeit des Frankenkaisers
Karl des Großen, mit Eingang des Christentums eine Holzkirche aufgeführt, die
der Siedlung den Namen "Kirchdorf", dem Felsen den Namen "Kirchberg" eintrug,
der in dem späteren "Kirberg" aufging. Beide, Kirche und Siedlung, kamen unter
die Herrschaft der Grafen von Diez, eines altadligen Geschlechtes.
Im
Jahre 878 bestand schon ein Gerichtsbann der Grafen von Diez, genannt wird Graf
Gebhard im Niederlahngau. In deren Macht- bereich lag auch der heutige Flecken
Kirberg. Aber auch die Herren von Nassau erhoben Erbansprüche auf das Gebiet,
und es kam zu Besitzstreitigkeiten zwischen beiden Grafenhäusern.
"Der Sprengel dieser Kirche umfaßte alles, was zwischen der Dörsbach und der
Weil und zwischen der Lahn und der Höhe lag. Der Ort erhielt davon den Namen
"Kirchdorf". Das Andenken an dieses uralte Kirchspiel bewahrt das Rualkapitel,
das durch das Mittelalter durch hier seinen Sitz und mit jenem gleichen Umfang
hatte. Graf Gottfried von Diez inkorporierte 1308 diese Kirche mit ihrem Zehnten
dem Stifte in Diez." (Nach Vogel: Topographie des Herzogtums Nassau, 1836.)
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Die stattliche Burgveste Kirchdorf trat ein in die Reihe nassauischer
Städte, und da sie an der verkehrsreichen Heerstraße lag (wie früher
erwähnt), wetteiferte sie mit den Patrizierstädten Frankfurt und Limburg im
Aufstieg, unterstützt von der Mutterstadt Diez. Innerhalb der heutigen
Gemarkung Kirbergs lagen vor der Zeitwende die beiden Dörfer Bubenheim (Bubinheim
- nach dem ersten Ansiedler Buba in alter Zeit) und Sindersbach, die schon
786 urkundlich erwähnt wurden (Schenkung der Abtei Hersfeld). Beide Orte
sind in späteren schweren Zeitläuften spurlos verschwunden. Es wird
behauptet, der Graf habe die Ortschaften vernichten (?) lassen, als er die
Burg baute. Nach anderen Angaben seien sie, was nach versteckten Andeutungen
in Chroniken glaubhafter sein dürfte, in Kriegszeiten bei den Anstürmen der
Feinde auf die stark befestigte Stadt gänzlich zerstört und die Bewohner
hingemordet oder gefangen fortgeführt worden. Nur wenige, die in der Burg
Schutz gesucht hatten, blieben am Leben.
Im
Jahre 1024 war Kirberg einer der zwanzig Zehnten der Grafschaft Diez, und 1355
wurde es Stadt. Aus der Limburger Chronik (Seite 31) erfahren wir darüber
folgendes:
"Anno 1355 ward Kirchberg in der Grafschaft Dietz begriffen
(ummauert) zu einer Stadt. Das thäte Graff Gerhard von Dietz
vorgenannt und brache die Kirche ab" - sie, die damals 500
Jahre alte, dazu recht baufällige Holzkirche stand dem neuen
Unternehmen (1355) im Wege - "und bauete die Burg auff die
Statt und ward da genannt "Kirchburg"
und zuvor hieß es "Kirpurg".
Ein noch vorhandener Vertrag, der eine Fehde abschloß zwischen den Grafen
Gerhard von Diez und dem Grafen Johann von Nassau Herrn von Merenberg,
berichtet, daß beide sich die Landeshoheit über einen Teil der Grafschaft Diez
teilten. Diez trat "die Hälfte der Landeshoheit über Kirchdorf, Bubenheim, Sindersbach (Bubenheim und Sindersbach sind verschwunden), Aren (heute Ohren),
Nuheim (Nauheim), Nestebach (Neesbach), und die zwei Heringen an Nassau ab, und
beide nun eine Landesburg hier zu erbauen, und einen gemeinschaftlichen Amtsmann
anzustellen beschlossen. So entstand die Gemeinschaft "Kirberg", und das
bisherige Centgericht mit sieben Schöffen wurde nun zu einem Landgericht mit
zwölf Schöffen, dem Blutbann, erhoben und über die genannten Dörfer ausgedehnt.
(Nach Vogel: Topographie des Herzogtums, 1836.)
Die Verleihung der Stadtrechte, verbunden mit hoher Gerichtsbarkeit, Galgen,
Stock und Rad, Wahrzeichen der "hochnotpeinlichen Gerichtsbarkeit", des Rechtes
des Herrn, die Todesstrafe zu ver- hängen - der noch jetzt so genannte
Galgenberg zwischen Kirberg und Ohren ist stummer Zeuge -, waren Vorrechte des
Landesherrn.
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Wie schon erwähnt, gewann Kirberg auch wirtschaftlich als Mittelpunkt immer mehr
an Bedeutung. Viele Märkte wurden hier abgehalten. Selbst das bekannte
Handelshaus F u g g e r aus Augsburg unterhielt hier eine Niederlage.
Im Jahre 1530, also schon frühzeitig, fand
die Reformation Eingang in Kirberg und einem Bereich. Einen eifrigen Förderer
hatte sie in dem damaligen Amtmann von Reifenberg. Ritter von
R e i
f e n b e r g, dem die Stadt und das Kloster Gandenthal - das zwischen Ohren und
Niederselters, in einem reizenden Tale am Wörsbach liegt - hauptsächlich sein
Aufblühen verdankte. Seine Verdienste würdigte man, indem man in der Kirche sein
Denkmal in Stein meißeln ließ. Das Kuralkapitel wurde von Kirberg nach
Niederbrechen verlegt.
Innerhalb der starken Mauern Kirbergs siedelten sich im Laufe der Jahrhunderte
zahlreiche adlige Familien an. Sie erbauten burg- artige Hofhäuser und umzogen
diese einzeln mit hohen festen Mauern. Einige dieser stattlichen Gebäude
schmücken noch heute das Ortsbild und sind teilweise noch nach mehr als 500
Jahren recht gut erhalten. Von diesen Geschlechtern sind folgende in Urkunden
erwähnt: von Bubenheim, Spechte von Bubenheim, von Reifenberg, von Heppenstift,
die Schütz von Holzhausen, von Heiden, von Bergen von Ried, von Lilienstein, die
Freiherrn v o m S t e i n, von Wesel, von Bodenhausen, von Kessel.
300 Jahre währte, abgesehen von einzelnen geringfügigen Fehden, Kirbergs
glückliche Zeit, ihre Bewohner waren wohlhabend. Da kam der große Aderlaß nach
1618 durch mehrer schreckliche Kriege; daß der Dreißigjährige Krieg einen so
wichtigen Ort nicht unberührt ließ, ist ganz selbstverständlich. Mehrfach sind
seine Mauern von den Kriegsvölkern berannt worden. Der spanische Feldherr
Spinola zerstörte ein Teil der Burg und Stadtmauer. Die Pest forderte auch hier
Opfer. Das erzählen uns heute noch die Flurnamen "Sieghaus" und "Auf der
Kreuzer" vor der Stadtmauer. Ein aus dem Jahr 1670 stammendes Bild zeigt, daß
man die Verteidigungsanlagen wieder herstellte, ohne damit zu verhindern, daß
diese in kommenden Jahrhunderten dennoch zum Teil dem Zahn der Zeit verfielen.
Die Reste von Mauer und Burg sind aber noch immer mächtig genug, um berediges
Zeugnis von einstiger Macht und Herrlichkeit abzulegen. Kriegs- und
Besatzungszeiten nahmen die früher so reiche Stadt derartig mit, daß ihre
Bedeutung und ihr Wohlstand immer mehr ver- schwanden. Auch muß hier erwähnt
werden, daß im Jahre 1711 die Bürger von einem entsetzlichen Brand heimgesucht
wurden, dem die ganze Stadtmitte zum Opfer fiel; etwa 140 Jahre später (1850)
brach wieder ein Großfeuer aus, wobei der ganze südwestliche Teil des Fleckens
ein Raub der Flammen wurde. Der damalige Dekan Vogel wandte sich in einer der
öffentlichen Sammlung an die Umgebung Kirbergs, die den stattlichen Betrag
(außer Materialien) von 9474 Gulden und 42 Kreuzer aufzuweisen hatte. Dieser
Betrag wurde, wie uns heute vergilbte Blätter zeigen, an die geschädigte
Bevölkerung verteilt und zum Wiederaufbau ihrer Anwesen benutzt.
Der Höhepunkt war längst überschritten, der Weg ging schnell bergab. Einige
Stationen auf diesem Abstieg seien kurz erwähnt: Kirberg verlor die Stadtrechte,
man nimmt an, durch Napoleon I. Was den Welteroberer bewog, das zu tun, steht
nicht genau fest. Es wird behauptet, es sei eine Laune von ihm gewesen, jedoch
die Ursache lag tiefer. Es wird gesagt, daß die Bauern Kirbergs den Freiherrn
vom Stein auf der Fluch Vor Napoleon I. Unterschlupf gewährten. Eine andere
Überlieferung besagt: Da die Fürstlichkeiten am Rhein dem allmächtigen
Franzosenkaiser in Mainz (1807) ihre Aufwartung machten, blieb Wilhelm V. von
Nassau-Diez fern, und auch sein Nachfolger Wilhelm VI. weigerte sich, dem
Rheinbund beizutreten. Das soll den Unwillen des Kaisers erregt haben. Kirberg
blieb bis 1816 nassauischer Amtsort. Außerdem besaß es ein Forstamt. Der Herzog
von Nassau übte selbst hier die Jagd aus.
Durch den Bau der Eisenbahn von Limburg nach Frankfurt durch Emstal und von Diez
nach Wiesbaden durchs Aartal ging Kirberg noch mehr zurück. Die bedeutende
Posthalterei wurde aufgehoben, hier standen 30 Umspannpferde zur
Aufrechterhaltung des sehr lebhaften Post- und Personenverkehrs bereit. Als
Kirberg 1866 preußisch wurde, verlor es auch alle genannten öffentlichen
Einrichtungen. Leider muß hier auch erwähnt werden, daß die Verwaltung Kirbergs
in den Jahren nach 1800 arm und dürftig bedacht war, das Erbe des Fleckchens
Erde, das so überaus reich an Geschichte ist, richtig zu verwalten. Man hat z.B.
1818 aus damaligem "Schönheitssinn" (durch Rechnungsbücher belegt) das alte,
untere Stadttor weggerissen. Nach dem Krieg 1870/71 fing man sogar an, von der Burgveste selbst Stein um Stein zulösen, erst viel später fanden sich Männer, im
diesen Raubbau ein Ende zu setzen.
Die Burg wurde unter Denkmalschutz gestellt. Es wurde ein stiller Landflecken,
der abseits vom Verkehr lag. Die alte Landstraße verlor jegliche Bedeutung.
Erhalten geblieben ist die alte Amtsapotheke, und als Überbleibsel des
ehemaligen Gerichts, sind vom Amtsgericht Limburg jährlich sechs Gerichtstage
festgesetzt. Die Märkte büßten zwar auch an Geltung ein, doch werden noch heute
jährlich ihrer acht abgehalten.
Trotz allem ist der Flecken Kirberg auch heute noch ein gewisser Mittelpunkt der
weiteren Umgebung. Außer den oben erwähnten Einrichtungen besitzt es zwei
Gendarmeriestationen, eine Försterei und ein modernes Krankenhaus, das von
tüchtigen Ärzten betreut wird. Den neueroberten Anschluß an den Verkehr verdankt
es seinem Postamt, dem Treffpunkt dreier Postomnibuslinien. Die alte Post-, auch
Hühnerstraße genannt, ist nun auch wirtschaftlich ihrem Namen treu geblieben.
Wenn auch die knallenden Peitschen und die Hörner der blasenden Postillione zu
Pferd verstummt sind, so sind es heute große, moderne Reiseomnibusse, die ihre
Gäste durch ein Stück Altnassauer Land bringen, das so unerschöpflich reich an
Naturschönheiten ist.
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