Über Gasthäuser, Wirte und deren Gäste

 

Für uns heutige Wohlstandsbürger des 20. Jahrhundert ist es eine Selbstverständlichkeit ein ordentliches und reichhaltiges Angebot vorzufinden, wenn wir einen gastronomischen Betrieb aufsuchen. Getränke in einer Vielzahl von Sorten, vom Exportbier über Pils, Alt- und Märzenbier bis zu den Weinen aus den deutschen und ausländischen Anbaugebieten, Spirituosen in den vielfältigsten Formen und Erfrischungsgetränke, Mineralwässer, Säfte aller Art sowie Kaffee und Tee. Und erst recht das Speisenangebot: vom schnellen Happen für den kleinen Appetit bis hin zu üppigen Festmenus. Selbst in unserem Ort ist es nichts ungewöhnliches, ausländische Spezialitäten wie Pizza, Schnecken oder gebackene Tintenfische zu erhalten. Doch wie sah es früher hier aus? Blättern wir doch einmal zurück in die Geschichte, um uns hierüber ein Bild zu machen.

 

Die meisten Getränke wurden hier selbst erzeugt. "Bierhäuser", das heißt Brauereien, gab es drei im Flecken; zwei am Obertor und eines am Untertor. Der Bierhausweg ist noch ein Überbleibsel von diesem Gewerbe; hier stand eines dieser Brauhäuser. Die Wirte mussten von jedem Fuder oder Gebräu der Herrschaft einen Gulden geben. Der Kirberger Bürger hatte die Freiheit, für sich selbst soviel abgabefrei zu brauen, wie er in seinem Haushalt mit Familie und Gesinde verbrauchen konnte. Apfel- und Birnenwein wurde überall hergestellt, während Wein angefahren werden musste, da der Weinbau in Kirberg um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert aufhörte, Branntwein wurde hier schon in frühen Jahren gebrannt, wenn auch die Obrigkeit am 2.11.1773 verordnete: "Das Branntweinbrennen wird nur denen Unterthanen, welche in Ermangelung eines anderen Nahrungsmittel, solches zu treiben genötigt sind, vorzüglich bewilliget werden."

 

Die Wirte selbst hatten es in jener Zeit oft nicht leicht, denn "Sonntags, nachts und im Sommer nach 6 Uhr durfte kein Spiel im Wirtshaus und sonstens geschehen. Wer wider des Wirths Willen länger sitzt, soll 1 fl. Strafe geben, der Wirt muss es des anderen Morgen anzeigen. Wer mehrmals dieses Geboth übertritt, soll mit dem Thurm bestraft werden."

 

Wie oft wird hier ein Wirt in Gewissensnot geraten sein. Oder waren die Zecher jener Zeit wohl gesitteter als heute und richteten sich immer nach den Vorschriften der Obrigkeit? Doch auch die Wirte versuchten damals wohl auch ihre Einnahmen heimlich zu verbessern. Wie anders wäre die Verordnung vom 22. Juni 1771 zu verstehen, die da besagt "Wein- und Bierwirthe haben ihren Wein und ihre frisch gebrautes Bier eher nicht zum Verzapfen anzustecken, bis es vorher von dem Oberschultheis oder des Ortes Geschworenen probiert und tüchtig befunden worden, bey 5 fl. Strafe. Hierbey ist besonders auch darauf zu sehen, dass die Weine nicht mit Äpfelwein oder anderen Zuthaten vermischt oder verdorben werden; welches den Wirthen bey 10 fl. Strafe untersagt ist."

 

Überhaupt war der Besuch von Gaststätten in jener Zeit nicht so frei und mit Freuden verbunden wie heutzutage. So schreibt die Obrigkeit auch in der oben erwähnten Verordnung vor "an Sonn- und Feyertagen soll kein Wirth in seinem Haus Saufen, Tänzereyen und dergleichen Unordnung gestatten; auch kein Gast weder an Sonn- noch Werktagen des Abends länger als bis 10 Uhr sitzen. Im übrigen sollen aber auch Einheimische abends um 10 Uhr sich auf den Straßen, nicht ohne gegründete und erlaubte Ursachen antreffen lassen, bey Strafe von 15 Albus für den Wirth und jeden Gast, auch sonstige Übertreter.

 

In Wirthshäuser darf, die 4 Jahrmärkte ausgenommen bey 3 fl. Strafe kein Tanz ohne schriftliche Erlaubnis der Beamten gehalten werden. Der Wirth muß bey Verlust der Wirtschaft die in seinem Hause vorgegangene Schlägerei sofort bey Amte anzeigen." Und weiter in einem Erlass vom 18. April 1765. "Es sind nicht nur alle Kirmes-Tänze im Amt, sondern es ist auch bey Gefängnisstrafe das Auslaufen auf benachbarten Kirmessen untersagt." Bei solch strengen Regeln und Verordnungen ist es verständlich, wenn die Kirberger Bürger keine ausgesprochenen Wirtshausgeher wurden. So konnte Prof. Dr. Karl Bücher in seinen "Lebenserinnerungen" über seine Kinder- und Jugendzeit in Kirberg im vergangenen Jahrhundert schreiben. "Auch die erwachsene Ortsjungend war nicht besonders vergnügungssüchtig. Regelmäßige Wirtshausbesucher waren nur einige ältere Schnapstrinker, die jedermann kannte und niemand besonders achtete.

 

Aus jener Zeit stammt auch das noch erhaltene Geschäfts- und Kontenbuch des Gasthauses "Zur Burg" in Kirberg, an der Brücke, welches einen genauen Einblick über die damaligen Gepflogenheiten im Gastgewerbe und auch vom Leben im Flecken gibt. Die ersten Eintragungen stammen aus dem Jahre 1850, die letzten aus 1932. Wir finden hier Namen, die uns zum Teil noch heute bekannt sind, wie Schmidt, Pinkel, Postillion Faust, Landsjäger Zöller, Bader Lizius, Kuhhirt Großmann, Schütz Stahl. Auch viele Berufe, die in Kirberg ansässig waren, sehen wir hier, neben den bereits genannten, verzeichnet: Kaufmann, Schneider, Holzhauermeister, Schuhmacher, Schreiner, Schlosser, Wagner, Dachdecker, Knecht und Magd, Maurer, Glasermeister und Buchbinder.

 

Was wurde nun hier verzehrt?

An Getränken natürlich Bier und Branntwein, wovon ein Schoppen 0,28 fl kostete. Auch Apfelwein ist recht häufig verlangt worden, wogegen Wein nur spärlich gewünscht wurden und wenn, dann wurde die Flasche von mehreren Zechern anteilig bezahlt. Im Oktober, November wurde auch gerne warmer Apfelwein getrunken. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhundert kam hier dann auch der Kaffee und der Rum in Mode. Aber auch von dem nahen Niederselters wurde Wasser angeboten. Dass aber darüber hinaus anscheinend von "feinen Leuten", die nicht in diesem Buch anschreiben ließen, auch andere Getränke bevorzugt wurden, zeigt das Verzeichnis über den Einkauf. Da wird Cognac, Bitterliquer, Pfefferminz- und Kümmel-Branntwein aufgeführt, der bei der Firma Z. u. J. Königsberger in Dietz bezogen wurde. Der Wein kam von der Firma H. Doegen aus Wiesbaden. Es wurde meist Fassware gekauft, so z.B. 17 Maß Rüdesheimer aus Faß Nr. 939 zu 13.- fl. Die Bezahlung wurde über die Post, d.h. über die Postkutsche vorgenommen, die wahrscheinlich auch den Wein aus der Stadt mitbrachte. Gegessen wurde in der Hauptsache Käse, Butter und Brot, von dem eine Portion 0,12 fl. kostete. Wurst mit Brot und Schinkenbrot finden wir wesentlich weniger verzeichnet.

Daneben werden aber auch Weck, Eier und ab und zu auch einmal ein Hering aufgeführt.

Mit der Bezahlung des angeschriebenen Verzehrs hatte der Wirt manchmal seine liebe Not. Verrechnet wurde meist viertel- oder halbjährig. Dabei wurden auch Leistungen der Gäste verrechnet.

So finden wir bei Bader Lizius einmal vermerkt 2,44 fl. für "Rasieren und Schröpfen" und ein andermal 2,32 fl. für "Rasieren, Blutigeln und Haareschneiden" auch "Kraut" und "drei Enten" werden einem Gast gutgeschrieben. Wer aber nicht zahlen wollte oder konnte, musste seine Schuld abarbeiten, so mit "Apfelabthun und Laubmachen", "Korn binden", "dreschen", "Kartoffeln ausmachen" oder "Ausheben der Wasser auf der Wiese von Prof. Seebold", auch hieß es am 30.3.1858 "Heute mit L. abgerechnet und erhalte ich 55 Ruthen Klee am Steinmetzen Graben und noch 2,30 fl. in bar".

 

Wer überhaupt nicht zahlungswillig war, dessen Rechnung wurde zum "Rechtspraktikanten" Waller nach Limburg zur Einklage geschickt.

 

Und dies geschah nicht selten. Dass es nicht immer ruhig in der Gaststube zuging, beweist die Eintragung vom 27.12.1855: "sieben Schoppengläser und eine Fensterscheibe zerbrochen", die dann selbstverständlich in Rechnung gestellt wurden. Recht oft betätigte sich der Wirt auch als Geldverleiher, denn wir finden immer wieder Vermerke wie "Bar gegeben" oder "Darlehen".

 

Aber nicht nur offene und bezahlte Rechnungen wurden in diesem Buch verzeichnet, auch die Dienstverhältnisse von Knecht und Magd finden wir vermerkt. So bekam z.B. Katharina Hofmann aus Mudershausen, die von 1857 bis 1858 hier als Magd verdingt war, für diese Zeit einen Lohn von 24,- fl., ein Paar Schuhe und einen Mietpfennig von 4,- fl. Dass der Wirt ein strenger Heer war, beweist der vermerkte Lohnabzug für den 9.8.1857 durch Einstellung von Philippine Blum für einen Tag, wo Katharina Hofmann ausblieb.

 

Ab 1869 finden wir immer weniger Eintragungen über das Geschäft in der Gastronomie, dafür mehr über den Verkauf von Steinen aus dem Steinbruch am Burgfelsen. Dem aufgeschlossenen Betrachter dieses Folianten bietet sich also ein recht interessanter Einblick in das Leben und die Gepflogenheiten jener Zeit im Flecken Kirberg im allgemeinen und in der Gastronomie im besonderen und es erhebt sich dabei die Frage, ob man hier von der "guten, alten Zeit" sprechen kann.